Kongressbericht 2016
3. trinationaler Phytotherapie-Kongress vom 2. bis 4. Juni 2016 in Bonn
Zum dritten trinationalen Kongress der deutschen, österreichischen und schweizerischen Gesellschaften für Phytotherapie, der vom 2. bis 4. Juni 2016 zum ersten Mal in Deutschland stattfand, konnten Kon- gresspräsidentin PD Dr. G. Ulrich-Merzenich (Universitätsklinikum Bonn) und GPT-Präsidentin Prof. K. Kraft mehr als 200 Teilnehmer in der Beethovenstadt Bonn begrüßen. Das Forum Süd der Beethoven- halle bot den teilnehmenden Medizinern, Pharmazeuten, Apothekern und Naturwissenschaftlern ein angenehmes Ambiente zu Vorträgen und Diskussionen über die Zukunft der Phytotherapie.
Dass der Kongressort zum Beethovenjubiläum im Jahr 2020 grundlegend modernisiert und zukunftsfähig gestaltet wird, kann im übertragenen Sinne auch für die Phytotherapie gelten: sie hat derzeit durch den Einsatz modernster Forschungsmethoden aus Molekularbiologie und Chemie die Chance zu einer rasan- ten und vielseitigen Weiterentwicklung.
In diesem Sinne begrüßten Bürgermeisterin G. Klingmüller genauso wie Prof. N. Wernert, Dekan der Medizinischen Fakultät, sowie Prof. G. König, Institutsleiterin der Pharmazeutischen Biologie, und Prof. A.R. Bilia, Präsidentin der GA, die Teilnehmer mit ihrem Esprit und wünschten dem Kongress einen erfolgreichen Verlauf.
In seiner Eröffnungsrede beklagte Prof. A. Hensel zwar zunächst die Stagnation der Forschung und Entwicklung (F&E), die er für die gesamte (phyto)-pharmazeutische Branche beobachtet, aber er berich- tete auch über Mut machende gelungene Beispiele von Neuzulassungen, z.B. des Procyanidin- angereicherten Extrakts aus Croton lechleri zur Behandlung der HIV/AIDS assoziierten Diarrhoe. Gleich- zeitig zeigte er auf, dass Phytopharmaka innovative Wirkmechanismen für Neuentwicklungen bereithal- ten und schlug mutige und kreative Finanzierungskonzepte für F&E mit dem Ziel von Arzneimittelinno- vationen auf der Basis von Naturstoffen vor.
Dr. M. Rostock, Onkologe am Universitäts-Spital Zürich und dem universitären Krebszentrum Hamburg Eppendorf, berichtete von bereits erfolgreich praktizierten „Innovationen“ bei der unterstützenden Behandlung des Mamma-Karzinoms z.B. den positive Studienergebnisse für die Ginsengwurzel-, Guara- na- und auch Baldrianwurzelextrakten bei ausgeprägter tumorassoziierter Fatigue sowie den phytothe- rapeutischen Begleittherapien zur Verbesserung der Lebensqualität unter Chemotherapie. Er betonte allerdings, dass bei Begleittherapien auch mögliche Risiken unerwünschter Effekte bedacht werden müssen und dass zur Frage der Verlängerung der Lebenszeit aufgrund mangelnder Daten bisher keine gesicherten Aussagen möglich sind.
Dr. O. Kelber zeigte die erfolgreiche Anwendung von Phytopharmaka an Beispielen aus der Gastroenterologie (Reizdarmsyndrom, Colitis ulcerosa) und der Depression auf. Bei diesen Indikationen ist die Phytotherapie bereits mit positiven Aussagen in den ärztlichen Leitlinien erwähnt und für Kreuzschmerz sogar in die nationalen Versorgungsleitlinien aufgenommen worden.
Die dem verstorbenen Prof. Heinz Schilcher gewidmete zweite Session des Kongresses spiegelte die herausragende Rolle von Prof. Schilcher wider, der maßgeblich den Weg für die Standardisierung der Phytopharmaka seit Anfang der 60ziger Jahren mitgestaltete. Sein Wirkungsfeld und Leben auch außerhalb der Pharmazie, insbesondere im Sport als Deutscher Kanu-Meister sowie als Teamleiter während der Olympischen Spiele 1972 wurden gewürdigt und von seinem persönlichen Freund Dr. B. Frank mit fotografischen Erinnerungen wach gerufen. Die folgenden Beiträge von DDr. U. Kastner und von Prof. M. Keusgen waren folgerichtig auch dem Lebenswerk von Prof. Schilcher gewidmet: DDr. Kastner berichtete über die Möglichkeiten und Herausforderungen der Behandlung von Kindern mit Phytopharmaka sowie dem Spannungsfeld zwischen dem Wunsch der Eltern nach einer „grünen Medi- zin“ und den Hürden der Durchführung klinischer Studien mit Kindern. Prof. Keusgen stellte die Ent- wicklung der Phytopharmakaforschung an Beispielen aus der Standardisierung von Arzneipflanzen über Qualitätsmarker bis hin zur Bestimmung der wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstoffe dar. Er endete mit der Feststellung, dass bisher nur die wichtigsten Arzneipflanzen ausreichend untersucht sind und hier für die phytotherapeutische Forschung mehr Geld zur Verfügung gestellt werden sollte, um ihrem tatsächlichen Stellenwert in der Gesellschaft gerecht zu werden.
Ein spezielles Treffen bot jungen Wissenschaftlern die Gelegenheit, ihre ersten wissenschaftlichen oder therapeutischen Erfahrungen in der Beschäftigung mit Phytomedizin vorzustellen und auszutauschen. Die Phytotherapie-Kongresse wollen zukünftig einen besonderen Akzent darauf legen, junge Lebenswis- senschaftler für die Forschung mit pflanzlichen Heilmitteln zu begeistern.
Für die Posterbesichtigung und – wie auch für die Industrieausstellung – wurden angemessene Zeitfens- ter eingerichtet, um diese Beiträge angemessen im Rahmen des Kongresses zu würdigen. Hier wurden aktuelle Forschungsergebnisse und neue Projekte vorgestellt. Auch Arbeiten zu nicht europäische Arz- neipflanzen z.B. komplexe Rezepturen aus der Tibetischen Medizin, aus der japanischen Kampo-Medizin sowie Arzneipflanzen aus der Karibik, die in die europäische Phytotherapie
integriert werden sollen, wurden diskutiert.
Die Ausstellung eines Zyklus von Arzneipflanzenbildern der Künstlerin Violetta Vollrath rundete die Posterpräsentation in kreativer Weise ab.
Den gelungenen Abschluss des ersten Kongresstages bildete ein Kammerkonzert mit den Musikerinnen Sonja Wiedemeier (Violine) und Susanne Rohe (Violine) vom Beethoven-Orchester sowie Eriko Yamamto (Klavier) im „Studio“. Das Ensemble verzauberte die Zuhörer auf hohem Kunst- und Genußniveau mit Klängen von Bach, Beethoven, Vivaldi und Schostakowitsch. Die Zuhörer dankten mit begeisterten standing Ovations und gingen mit viel positiver Energie in den nächsten Tag des Kongresses.
In der Session zur Versorgungsforschung zu Beginn des zweiten Kongresstages stellte Prof. K. Kraft in Vertretung von Prof. J. Langhorst dar, dass Phytotherapeutika mittlerweile in 40 ärztlichen Leitlinien und auch in eine Nationale Versorgungsleitlinien eingebracht werden konnten. Möglich wurde dies nicht zuletzt dadurch, dass die GPT Ende 2013 Mitglied in der Dachgesellschaft Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) wurde und somit einen aktiven Fachver- treter in die Kommissionen zur Erstellung der Leitlinien entsendet. Prof. W. Lehmacher brachte an- schließend den Zuhörern sehr anschaulich und kurzweilig näher, wie versorgungsrelevante Vergleichs- studien zur Verbesserung der Evidenz von Phytopharmaka führen können – mit den Hinweis, dass sich neben der Industrie auch öffentliche Förderstellen, Erstattungsinstitutionen und Wissenschaftsorganisa- tionen an der Förderung derartiger Studien beteiligen sollten, gerade auch wegen des hohen allgemei- nen Interesses an Phytotherapeutika. Dr. G. Meng stellte schließlich die wissenschaftliche Datenbank „PhytoVIS“der Kooperation Phytopharmaka vor, die als Plattform für die epidemiologische Studien zur
Versorgungsforschung mit pflanzlichen Arzneimitteln dient und in ihren ersten Studien bereits ca. 20.000 Patientendatensätze erfasst hat.
Auch die Synergieforschung und die „Omics“-Technologien durften auf dem Kongress nicht fehlen, sind es doch diese Methoden, deren Einsatz die Grundlagenforschung zu Phytotherapeutika massiv stärkt und deren Einsatz bereits jetzt und noch sehr viel mehr in der Zukunft wesentliche Beiträge dazu liefern
wird, die komplexen Wirkungsmechanismen von Arzneipflanzen aufzuklären. PD Dr. G. Ulrich-Merzenich gab einen anschaulichen Überblick über die Entwicklung und den derzeitigen Stand der Synergiefor- schung, die für manchen Zuhörer aufgrund der unvermeidbaren Exkurse in mathematische Grundlagen vielleicht manchmal etwas „ungewohnte Kost“ darstellte, aber gleichzeitig andeutete, welch großes Potenzial eine zukünftige personalisierte Medizin auf der Basis synergistischer Wirkungen gerade auch für pflanzliche Wirkstoffe bietet. Prof. W. Dimpfel zeigte anschließend auf, wie anhand der Analyse von Hirnströmen sogenannte Elektropharmakogramme von pflanzlichen Arzneimitteln erstellt werden können. Diese scheinen auch Schlussfolgerungen auf die Wirkungsweise von pflanzlichen Mischextrak- ten auf das menschliche Gehirn zu erlauben. Prof. A. Hensel stellte in einem spannenden Vortrag neuar- tige sulfatierte Flavonglucuronide und Scopoletinglycoside aus den Wurzeln von Althea officinalis L mit ihren pharmakologischen Wirkungen auf Extrazellulärmatrixmoleküle vor. Dr. H. Schwabl legte anhand von tibetischen Rezepturen nochmals dar, dass nicht die Summe der einzelnen Inhaltsstoffe allein die Wirkung charakterisiert. Multikomponent-Mischungen wie Arzneipflanzenextrakte besitzen pleiotrope Signaturen und können als Prototypen der „herbal“ Network Pharmacology untersucht werden.
Der Nachmittag des zweiten Kongresstages wurde gestaltet durch 4 Parallelsessions mit den Schwer- punkten Regulatorische Rahmenbedingungen, Indikationen, Novel Targets und Extraktentwicklung.
In der regulatorische Session standen Herr Prof. W. Knöss (D), Herr Dr. R. Länger (A) und Dr. M. Ziak (CH) dem Publikum Rede und Antwort bezüglich der Zulassungen von Phytotherapeutika im deutschsprachi- gen Raum. Die anfänglichen Fragen zur Zulassung von Kombinationspräparaten weiteten sich schnell aus zu Fragen bezüglich der Rolle von Tierversuchen in der phytotherapeutische Forschung. Es kam zu regen Diskussionen zwischen Publikum und Vertretern der Behörden, moderiert von Prof. H. Pittner. Diese Session machte deutlich, dass der trinationale Kongress eine ideale Plattform für rege Diskussionen und Absprachen über die regulatorischen Rahmenbedingungen im deutschsprachigen Raum darstellt.
Eine den häufigen Indikationen für Phytotherapeutika gewidmete Session thematisierte primär die Atemwegserkrankung und die Depression. Prof. D. Jobst zeigte auf, wie Phytopharmaka aus Efeu, Eibisch oder Wollblum in die Behandlung von Erkältungskrankheiten gut integriert sind, sei es als Fer- tigarzneimittel oder als Tees. Dr. S. Klement stellte die Ergebnisse einer randomisierten, doppelblinden und placebo-kontrollierten Studie vor, welche die Wirksamkeit von Silexan bei Angst und depressiver Störung aufzeigte. Dr. R. Stange referierte über die Sicherheit und Compliance des Kombinationspräpa- rates Contramutan N Saft in der Behandlung on akuten Atemwegsinfektionen und legte dar, dass das Komplexpräparat bei Kindern und Erwachsenen sicher erscheint und basierend auf den Sekundäranaly-
sen eine gute Wirksamkeit aufweist. Prof. K. Kraft berichtete von positiven Erfahrungen mit der Phyto- therapie und anderen komplementären Verfahren bei der Therapie infektanfälliger Kinder im Zusam- menhang mit Mutter-Kind-Kuren. Ergebnisse zur Wirkungsweise von Inhaltsstoffe eines griechischen Bergtees wurden durch einen jungen Wissenschaftler – F. Heiner – vorgestellt. Er konnte am Modellor- ganismus Caenorhabditis elegans spannend darstellen, dass die Sideritis scardia-Extrakte hier eine neuroprotektive Wirkung aufweisen.
Eine weitere Session beschäftigte sich mit Novel Targets. Die Untersuchung der Wirkungsweise von Phytopharmaka mit ihren pleiotropen Signaturen führt insbesondere beim Einsatz der „Omic“- Technologien immer wieder zur Entdeckung neuer, interessanter Targets, aber auch zur Aufklärung bisher unbekannter Pathomechanismen - wie in gleich zwei Vorträgen für den Mischextrakt STW5 gezeigt wurde. Dr. H. Abdel-Aziz schlug den Orphanrezeptor GPR84 als neues Behandlungsziel für die Refluxösophagitis vor und Prof. K. Nieber berichtete über die Aktivierung von A2A Rezeptoren als neu- em, möglicherweise therapeutisch relevantem Wirkmechanismus zur Vermeidung morphologischer Schäden sowie zur Wiederherstellung der gestörten Motilität bei entzündlichen Darmerkrankungen. Herr Dr. Scheffler referierte über die erfolgreiche Entwickung und Zulassung einer Betulinemulsion auf der Basis eines triterpenreichen Trockenextraktes aus der Rinde von Betula pendula Roth und B. poube- scens Erhr oder Hybriden zur Behandlung von Haut- und Verbrennungswunden, wofür er im weiteren Verlauf des Kongresses mit dem Innovationspreis der GPT ausgezeichnet wurde. S. Sarshar berichtete von ihren Arbeiten zu zytoprotektiven und antiadhäsiven Effekten eines wässrigen Extraktes aus Blät- tern von Orthosiphon stamineus BENTH. gegen uropathogene E. coli und abschließend fasste Dr. J. Müller in einer Metaanalyse Aussagen zur Wirksamkeit und Studienqualität von STW 5 zusammen.
Wie schon programmatisch im Motto des diesjährigen Kongresses verankert, war eine Session der Extraktentwicklung gewidmet. Hier wurden die neuesten Methoden, genauso wie die Herausforderun- gen in der Extraktentwicklung und Standardisierung pflanzlicher Extrakte diskutiert. Frau Dr. Steinhoff thematisierte die Reinheitsanforderungen für Pestizid-, Schwermetall- und Aflatoxinrückständen, aber ging auch aktuell auf die Pyrrolizidinalkaloidproblematik ein. Herr Dr. Kurth stellte die Vorteile einer HPLC-Methode zur Vereinfachung der Gehaltsbestimmung von Hydroxyanthracen-Glykosiden aus Sen- nes-früchten und Blättern vor, die als bewährte Wirkstoffe für Laxantien eingesetzt werden. Verglei- chende Untersuchungen zum Extraktionsverhalten der Anthranoide unter Berücksichtigung der Aglyka bei unterschiedlichen Extraktionsmitteln aus Sennafrüchten, vorgestellt von Herrn Prof. Meier, schlos- sen sich an. Die Modernisierung eines traditionellen Arzneidrogengemisches aus der Kampo-Medizin im Sinne eines Traditional Herbal Medicinal Products wurde von Herrn Prof. Kuchta vorgestellt. Den Ab- schluss der spannenden und sehr praxisbezogenen Session bildetet der Beitrag von Frau Gorgus mit ihren vergleichenden Untersuchungen zum Alkoholgehalte in Lebensmitteln und Phytotherapeutika und ihrer Bewertung im Rahmen der Kinderheilkunde.
Ein Highlight des Kongresses war zweifellos der Gesellschaftsabend. Sowohl die unterhaltsamen Jazz- Darbietungen der musizierenden Vorstandsmitglieder Dr. Tankred Wegner und Dr. Bruno Frank als auch das kulinarisch verwöhnende Angebot des Restaurants DaCapo, das während des gesamten Kongresses für das leibliche Wohl der Teilnehmer sorgte, trugen maßgeblich zu einem rundum gelungenen Gesell- schaftsabend bei. Prof. Michael Keusgen, der in seiner spritzigen und „nicht ganz bierernsten“ Festrede die Vorzüge eines – leider vorerst noch imaginären – cannabinoidhaltigen Bieres als einem definitiven zukünftigen Blockbuster der Phytotherapie der Zukunft anpries, förderte die gute Stimmung weiter.
GPT-Präsidentin Prof. Karin Kraft und Kongresspräsidentin PD Dr. Ulrich-Merzenich dankten allen, die durch ihr – größtenteils ehrenamtliches – Engagement zum guten Gelingen des Phytotherapie- Kongresses 2016 beigetragen haben.
Am Samstag setzte sich das vielseitige und anspruchsvolle Kongressprogramm fort. Dr. H.-H. Henneicke- von-Zepelin präsentierte die 60jährige Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanze Cimicifuga zu einem „Phyto-Blockbuster“ in der Therapie der Wechseljahrsbeschwerden, gekennzeichnet von intensiven und kontinuierlichen Forschungsarbeiten. Dr. A. Schapoval stellte aktuelle Ergebnisse zu Echinacea- Präparaten vor, die in einer Meta-Analyse zusammengefasst nahe legen, dass die Therapie von Atemwegserkrankungen mit pflanzlichen Arzneimitteln aus Echinacea das Risiko rezidivierender Infekte gegenüber Placebo signifikant vermindern, wobei sich lipophile Extrakte als signifikant wirksamer erwie- sen als Presssaftzubereitungen. Prof. B. Meier räumte anschließend in seinem lebendigen Beitrag „hei- ßes Wasser als Extraktionsmittel“ mit dem Mythos auf, dass Wasser für arzneiliche Zubereitungen kein geeignetes Extraktionsmittel sei. Auch das Europäische Arzneibuch enthält eine ganze Reihe von Ex- traktmonografien, für die Wasser als Extraktionsmittel empfohlen wird. Die Beispiele reichten von Trockenextrakten aus Melissen- oder Pfefferminzblättern, über Baldrianwurzeln hin zu eigenen Analysen der C-Glycoside aus Weißdorn und einfachen Glycosiden wie dem Arbutin und dem Salicin. Wasser erweist sich als vielfältiges und unverzichtbares Extraktionsmittel, wobei für die industrielle Extraktpro- duktion Ethanol/Wasserextraktionen in der Regel vorteilhafter sind. Zum Abschluss der Session stellte Dr. H. Sievers eine Bestandsaufnahme der regulatorischen HMPC-Dokumenten zur toxikologischen Bewertung von pflanzlichen Arzneimitteln vor und präsentierte Beispiele einiger Grenzwertfestlegun- gen. Sievers und Co-Worker kamen zum Schluss, dass hier Dokumente bereitstehen, die eine gemein- same Orientierung für Antragsteller und Behörden darstellen und Zulassungsverfahren erleichtern können.
Die Abschluss-Session war der Tradition und – insbesondere – der Zukunft der Phytotherapie sowie den Preisverleihungen gewidmet. Dr. J. Mayer stellte zunächst die Arbeit der Forschergruppe Klostermedizin aus Würzburg vor. Sie reicht von der Erstellung von Datenbanken zur Dokumentation der im Mittelalter in Europa arzneilich verwendeten Pflanzen über aktuelle Recherchen bis hin zur direkten Wissenswei- tergabe in Form von Universitätsvorlesungen, Vorträgen und Workshops für Laien und einer intensiven Medienarbeit, mit der rund 250. 000 Personen pro Monat erreicht werden. Prof. H. Stuppner legte anschließend überzeugend die großen Zukunftspotenziale der Phytotherapie aus pharmazeutischer Sicht dar. Er machte - wie schon Prof. M. Keusgen - deutlich, dass bisher von den ca. 300.000 weltweit vorkommenden Pflanzenarten nur etwa 5 bis 10% chemisch bzw. pharmakologisch ausreichend gut untersucht sind und damit das riesige pflanzliche Arzneimittelpotenzial immer noch weitgehend unbe- arbeitet ist. Phytopharmaka als Vielstoffgemische stellen bezüglich ihrer Qualitätssicherung und der Erforschung Ihrer Wirkmechanismen zwar eine Herausforderung dar, aber ganzheitliche Ansätze und die Systembiologie bieten neue und viel versprechende Instrumente zur Beschreibung und zum Verständnis derartiger komplexer Multiparameter-Systeme an. Die Phytotherapie bleibt damit ein spannendes und zukunftsfähiges Forschungsgebiet! Prof. R. Saller stellte abschließend aus medizinischer Sicht die genui- nen pleiotropen Multitarget-Eigenschaften der Phytotherapeutika heraus, die es erlauben, eine „Poly- pharmakologie mit einem einzigen Wirkstoff“ zu betreiben. Wegen ihres wirkstoffbedingt breiten Wir-
kungsspektrums könnten sie sich auch in komplexen Therapiesituationen als geeignete Therapiebe- standteile erweisen, gewissermaßen als polypharmakotherapeutische Ansätze. Er schlug vor, dass neben der rein stofflichen Betrachtungsweise auch funktionell orientierte Herangehensweisen unmit- telbar für für eine Therapieentscheidung relevant sein können.
Der mit 10.000 Euro dotierte Innovationspreis der Gesellschaft für Phytotherapie wurde an Herrn Dr. Armin Scheffler (Birken AG) verliehen. Die GPT honorierte damit die Entwicklung und Zulassung eines Arzneimittels aus dem triterpenreichen Trockenextrakt der Birkenrinde, welches in Form einer Betulin- Emulsion zur Behandlung von oberflächlichen Hautwunden und Verbrennungswunden der Haut vom Grad IIa bei Erwachsenen angewendet wird. Es handelt sich das erste europäisch zugelassene Arzneimit- tel mit dem klinischen Nachweis der beschleunigten Wundheilung, womit ein neues Therapiefeld für die Phytotherapie erschlossen wurde. Dr. Scheffler forderte in seiner bewegenden Dankesrede insbesonde- re junge WissenschaftlerInnen auf, eigene wissenschaftliche Erkenntnisse mutig zu verfolgen und mit Durchhaltevermögen zu realisieren.
Mit Posterpreisen wurden Frau S. Sarshar (Pharmazie Münster), Frau C. Vissienon (Pharmazie Leipzig) und Frau K. Braun (Züricher Hochschule für angewandte Wissenschaften) ausgezeichnet. S. Sarshar stellte sehr beeindruckend in vivo und in vitro Daten zur Hemmung der Adhäsion von uropathogenen Keimen durch einen wässrigen Extrakt aus Blättern von Orhosiphon staminus vor. C. Vissienon über- zeugte die Jury mit ihrem Kombinationsscreening von Kamille, Myrrhe und Kaffeekohle in Bezug auf die Chemokinfreisetzung aktivierter humaner Makrophagen. K. Braun wurde für ihre Untersuchungen zum Extraktionsverhalten der Anthranoide in Sennae folium/fructus unter Berücksichtigung der Aglyka geehrt.
Am Ende des Kongresses zog Kongresspräsidentin PD Dr. G. Ulrich-Merzenich ein sehr positives Fazit und dankte allen Referenten für ihre Beiträge sowie den Teilnehmern für ihre aktive Mitwirkung zum guten Gelingen des vielseitigen und anspruchsvollen wissenschaftlichen Programms. Sie lud im Namen der GPT zum nächsten Phytotherapie-Kongress ein, der vom 28. bis 30. September 2017 in Münster stattfinden wird.
Zum Abschluss setzten Prof. J. Matzerath und Gourmetkoch V. Nebrich noch einmal ein Highlight mit ihrer „kulinarischen Archäologie“, in der sie auf hohem kulinarischen und unterhaltsamen akademi- schem Niveau die von ihnen wiederbelebte historische Küche des sächsischen Hofes in Dresden als moderne, gesunde und sinnliche Produktküche vorstellten.
Im Rahmen des Kongressprogramms fand zusätzlich am Samstag ein kurzes, aber spannendes und gut besuchtes Symposium für Tiermediziner statt – einschließlich einer speziellen Postersession. Vorträge und rege Diskussionen beschäftigten sich mit der Misteltherapie bei Tumorerkrankungen von Hund, Katze und Pferd, mit der Behandlung von Wundinfektionen mit multiresistenten Erregern durch Phy- totherapeutika, mit der Therapieoptimierung der Antibiose durch Phytotherapeutika oder mit der antihelminitschen Wirkung von Pflanzen.
Auch Unwetterwarnungen konnten zahlreiche hoch motivierte Kongressteilnehmer am Samstag nach fast drei Tagen Kongressprogramm nicht davon abhalten, noch an Führungen durch den Botanischen Garten am Schloss Poppelsdorf teilzunehmen. Diese wurden mit Begeisterung angenommen und mach- ten Lust auf ein Wiederkommen nach Bonn.
Der Phytotherapie-Kongress 2016 war der bisher am besten besuchte Kongress der GPT in Deutschland und – nicht zuletzt dank der aktiven Beteiligung der schweizerischen und österreichischen Partner – derjenige mit dem umfangreichsten wissenschaftlichen Programm. Von den Teilnehmern wurde der gelungene „Dreiklang“ aus wissenschaftliche Beiträgen, begeisternder Musik und kulinarischen Genüs- sen sehr gelobt, der zusammen mit der guten Kongressorganisation, den angenehmen Räumlichkeiten und der reibungslosen Konferenztechnik während des gesamten Kongresses zu einer sehr guten und entspannten Atmosphäre beitrug. Das zeitweise tropische Wetter mit monsunartigen Regengüssen tat der guten Stimmung keinen Abbruch.
Fazit: Die Phytotherapie wird als Methode in der Medizin stärker wahrgenommen als früher, aber sie kann und muss noch deutlich „gewichtiger“ werden. Die uns heute zugänglichen Forschungsmethoden im Bereich der Grundlagenforschung sind geeignet, dies im Sinne einer evidenzbasierten Medizin zu bewerkstelligen. Nun gilt es, mehr junge Wissenschaftler und Ärzte zu gewinnen, die aktiv Grundlagen- forschung betreiben und die gewonnenen Erkenntnisse in ganzheitliche Therapiekonzepte umsetzen.
Gudrun Ulrich-Merzenich / Bernd Merzenich
Fotos: Lothar Geisler